(Pädagogisch?) multiprofessionelle Teams

(Pädagogisch?) multiprofessionelle Teams

Unsere Referentin für Presse,- und Öffentlichkeitsarbeit, Lisa Henriette Huber, im Interview mit Isabell Springmann, Mitglied im Beirat vom VKMK, sowie Leiterin und Fachberaterin des gemeinnützigen Trägers W&W Wunderkids gGmbH, über das Pilotprojekt “Multiprofessionelle Teams” in den Kindertagesstätten Berlins.

 

Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert. In der Soziologie und Pädagogik wird von “ Pluralisierung und Individualisierung der Lebens- und Familienformen” gesprochen. Selbstverständlich bedeutet dies auch, dass sich Erziehungs- und Bildungsformen hinterfragen und angleichen müssen.

In der frühkindlichen Bildung gibt es heute einen veränderten Bedarf an diversen Kompetenzen, damit ideale Chancengleichheit in einer interkulturellen Gesellschaft gewährleistet werden kann.

Gleichzeitig stellt der erhöhte Mangel an Fachkräften in den pädagogischen Bereichen, unter anderem auch die Kitas, vor große Probleme. Das System der Kindertagesbetreuung öffnet sich seit Jahren aus verschiedenen Gründen, insbesondere wegen des Fachkräftemangels, immer weiter in alle Richtungen. 




Nicht selten finden sich in den Kitas Berlins unterschiedlichste Kompetenzen und dies birgt diverse Chancen, aber auch Herausforderungen, die es zu meistern gilt.




Das Pilotprojekt "Multiprofessionelle Teams”, ausgearbeitet vom Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung, beschäftigt sich mit eben diesen Veränderungen, Problematiken und Chancen und möchte hier mehr Erkenntnisse entwickeln, um eine optimale Förderung in der frühkindlichen Entwicklung anzustreben.

Hierfür treffen sich seit dem Frühjahr 2021 regelmäßig fünf Berliner Kitas aus verschiedenen Bezirken und von unterschiedlichen Trägern. 

Das Ziel: ein offener Austausch zu zentralen Handlungsfeldern in der Arbeit multiprofessioneller Kita-Teams, um hier gemeinsam Entwicklungspotenziale zu durchleuchten, und mögliche Strategien zu finden, für eine optimale  Förderung, auch über die Projektlaufzeit hinaus. Das Projekt endet, nach zwei absolvierten Jahren, diesen Dezember. Die Berliner Kindertagesstätte, Wunderkids in Tempelhof-Schöneberg, war eine der fünf teilnehmenden Kitas.

Fotos “Wunderkids Berlin Tempelhof” von: Station Architektur

Wir haben uns zusammen mit Isabell Springmann, Mitglied im Beirat vom VKMK, sowie Leiterin und Fachberaterin des gemeinnützigen Trägers W&W Wunderkids gGmbH, über das Projekt unterhalten und offen beleuchtet, wo sie hier Stärken, Potenziale und eventuelle Hürden entdecken konnte.
Gleich zu Anfang erklärt Isabell Springmann deutlich, dass das Wort “multiprofessionell” den Hörer/Leser oft auf falsche Wege schickt:

“Viele vermuten hinter dem Wort “multiprofessionell” ein gezielt aufgestelltes Team aus Erzieher:innen, Kindheitspädagog:innen, Sozialarbeiter:innen, Logopäd:innen und Heilpädagog:innen, die direkt auch ihren Professionen und Qualifikationen in der Kita nachgehen können und automatisch ausfinanziert das Team ergänzen.

Dem ist aber nicht so.

Während vor vielen Jahren fast ausschließlich staatlich anerkannte Erzieher:innen tätig waren, öffnet sich das System der Kindertagesbetreuung heute aus diversen Gründen immer weiter. Dies führt zwangsläufig zu einem Schmelztiegel unterschiedlichster pädagogischer Professionen. 

Hier kommen Erzieher:innen oder Kindheitspädagog:innen, welche bereits eine staatliche Anerkennung haben zusammen, aber auch artverwandte pädagogische Abschlüsse, wie Erziehungswissenschaftler:innen oder Sozialassistent:innen und Erzieherhelfer:innen, die natürlich Zusatzqualifikationen absolvieren mussten, um hier einen Quereinstieg durchführen zu können. Es kommen aber auch Azubis dazu, in Teilzeit, mit unterschiedlichen beruflichen Vorqualifikationen. Sei es die Hotelfachfrau, der Bäcker oder KFZ-Mechatroniker, der sich nun eben entschieden hat, den beruflichen Weg in die frühkindliche Pädagogik zu finden. Dieser notgedrungen zusammengeführte Schmelztiegel führt natürlich zu vielen Herausforderungen: hier prallen unterschiedlichste Bildungsverständnisse und berufliche Habitus aufeinander, die es erst einmal zu erkennen und zu meistern gilt. Es birgt aber auch enorm viele Chancen, wenn die Zusatzkompetenzen hier richtig genutzt werden.”




Wer einen Quereinstieg machen kann, und welche Sonderqualifizierungen hierfür eventuell noch benötigt werden, kann der Seite des Berliner Senates entnommen werden.


Zu Beginn des Jahres 2021 wurden im Zuge des Pilotprojektes “Multiprofessionelle Teams”, eine handvoll Kitas aus verschiedenen Kita-Trägern in Berlin ausgewählt und mit dem Projekt-Konzept vertraut gemacht.

Es handelt sich hierbei um ein wissenschaftlich erarbeitetes Konzept des Berliner Kita-Instituts für Qualitätsentwicklung, das eine erfolgreiche Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams anstrebt. Planung, Ziel und Konzipierung wurden in der Theorie durchleuchtet und sollten nun auch in der Praxis umgesetzt werden, um hier vor Ort weitere Erkenntnisse zu gewinnen.


Die Konzipierung war zwar stringent und an Projektzyklen gebunden, in der Umsetzung konnten die Kitas jedoch ihre Themenschwerpunkte selbst wählen.


So konnte eine optimale Förderung gewährleistet werden, die angepasst an die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Kindertagesstätte war. Die Kitas konnten also vorab reflektieren, wo die momentanen Hürden und Potenziale verankert sind und welche Konzipierung hier am besten individuelle Erfolge versprechen könnte.



Im Fokus des Gesamtkonzeptes stehen:

  • Individuelle Stärken von Fachkräften erkennen und nutzen.  

  • Den Austausch im Team zum gemeinsamen Bildungsverständnis, sowie den allgemeinen Zusammenhalt und die Zusammenarbeit im Team fördern.  

  • Eine bestmögliche Einarbeitung von Kolleg:innen im Quereinstieg, die Raum für diverse Methoden und Förderungen beinhaltet, um eine Willkommenskultur zu (er)leben.

  • Eine bessere Kooperation und Vernetzung im Team, aber auch Kitaübergreifend, um hier im Miteinander ein gegenseitiges Unterstützen, Austauschen und Lernen zu fördern.

(Gesamtkonzept, nachlesbar auf https://beki-qualitaet.de/.)

Die ausgewählten Kitas trafen und besprachen sich hierfür in regelmäßigen Abständen zu Workshops, die jeweils Themenschwerpunkte zur Bearbeitung erhielten. Diese Themenschwerpunkte wurden jeweils im Vorhinein abgestimmt, um den aktuellen Bedürfnissen der Kitas gerecht zu werden.

Bei den Treffen wurden Erlebnisse, Hürden und Erkenntnisse zusammengetragen. Offen wurde diskutiert, welche Prozesse momentan angestrebt werden und welche Herangehensweisen die unterschiedlichen Kolleg:innen hier als sinnvoll erachten, im Prozess gemeinsame Lösungswege zu finden.

Anschließend wurden diese Bearbeitungen an das Beki geschickt. Der Entwicklungsprozess der Kitas wurde dementsprechend stetig auch wissenschaftlich begleitet.


Isabell Springmann zieht nach 2 Jahren ein sehr positives Resumée:



“Die Zeit, zu der das Projekt losging, stand unter einem komplizierten Stern. Covid hat natürlich auch insbesondere in den pädagogischen Instituten die Welt auf den Kopf gestellt. Es gab viele neue Regelungen, viele Unklarheiten auf allen Seiten. Man hätte denken können, dass so ein Projekt da eventuell etwas erschwerend wirken könnte. Aber das Gegenteil war der Fall; wir waren damals ein neu zusammengewürfeltes Team, das vor genau den vielen Fragen stand, die das Projekt gezielt bearbeiten möchte: 

Wie meistert man erfolgreiche Strukturierung, Teamzusammenhalt, Miteinander und bestmögliche Einarbeitung, insbesondere eben in einem Team, in dem so viele unterschiedliche Kompetenzen zusammenkommen?

Durch das Projekt waren wir in regelmäßigen Abständen “gezwungen” uns zu besprechen, zu reflektieren, auszutauschen, hinzuhören und gegebenenfalls anzugleichen. Gerade in einer chaotischen Zeit, wie dem Beginn der Corona-Pandemie, wären solche Themen und Fragen vermutlich oftmals untergegangen. So, haben sie nicht nur regelmäßig Raum gefunden, sondern wurden auch sehr erfolgreich gelebt und umgesetzt.”


Insbesondere der Austausch mit anderen Kindertagesstätten war für Isabell Springmann eine sehr erfolgreiche Umsetzung, die sie gerne beibehalten möchte.

“Jede Kita hat natürlich ihre ganz eigenen Hürden und Erkenntnisse. Alle Teams sind verschieden und bringen sehr individuelle Stärken mit sich. Man kennt das Problem; man macht etwas, weil es schon immer so gemacht wurde. Bis jemand von Außen kommt und zeigt, dass es einen anderen Weg gibt, der einen einfacher und effizienter an das Ziel bringen kann. Der regelmäßige Austausch mit anderen Kitas hat bei vielen von uns auch zu regelmäßigen Aha-Momenten geführt. Man tauscht sich aus, man lernt - nicht nur aktiv, durch das eigene Überkommen von Hürden, sondern auch passiv - indem man sieht, wie Fachkräfte in anderen Kitas hier einen Weg gefunden haben.”


Trotz Covid empfand Isabell Springmann die Kommunikation mit den anderen Kitas als sehr “nah” und erfolgreich.

“Im Nachhinein haben wir festgestellt: die Treffen fanden insgesamt 50/50 vor Ort oder online statt. Das war für uns sehr überraschend, da wir das Gefühl hatten, wir hätten uns deutlich häufiger persönlich getroffen. Das ist eine kleine Nuance, aber hat eben auch viel Aussagekraft. Die Gespräche waren sehr nützlich und nachhaltig fördernd und das wohlgemerkt eben auch in einer Ausnahmesituation und unter anderen Kommunikationsmitteln, als man sie normalerweise wohl bevorzugen würde. Das zeigt schon deutlich, wie sinnvoll so ein Austausch ist, und vor allem eben auch: wie wichtig und  “einfach” letztendlich hier eine erfolgreiche Umsetzung sein kann, die auch deutlich spürbar ist, bei allen Fachkr

Evaluierungsplanung, im Zuge des Projektes

Die Hürden des Projektes sieht Isabell Springmann eher individuell.


“Ich würde die Hürde nicht direkt bei dem Projekt selbst ansetzen, sondern viel eher bei den einzelnen Kitas. Alle Kitas sind individuell strukturiert. Gerade mit multiprofessionellen Teams, gibt es eben auch multiple Förderungs-Potenziale und Herangehensweisen an bestimmte Themenschwerpunkte. Wie gesagt, handelt es sich hier zunehmend um einen Schmelztiegel aus diversen Kompetenzen. Dies variiert von Kindertagesstätte zu Kindertagesstätte natürlich enorm. Hier gilt es, dies eben gründlich zu durchleuchten, zu hinterfragen und Potenziale auch zu erkennen. Das Stichwort ist ganz klar: Hinschauen bzw. Hinhören. Das klingt sehr einfach, ist aber im schnelllebigen Arbeitsalltag etwas, das gerne einmal untergehen kann. Wenn sich dann noch zusätzliche Hürden auftun, wie die immer noch aktuelle Pandemie, wird so etwas schnell auch einmal zu einem Ding der Unmöglichkeit, wenn nicht aktiv und geplant hierfür Raum geschaffen wird. Sich hier regelmäßig Zeit nehmen für einen offenen Austausch, in dem man Strukturen auch einmal ganz ehrlich hinterfragt, und hier offen bleibt für Änderungen, ist ein sehr wichtiger und notwendiger Schritt. Wir alle stehen vor diversen Hürden, die es zu überkommen gilt, auf dem Weg zu einer gemeinsamen, erfolgreichen Zusammenarbeit, in der alle Kompetenzen bestens genutzt und gefördert werden. Das Pilotprojekt “Multiprofessionelle Teams” erlebt diese Hürden somit selbstverständlich auch, hilft hier aber mit sehr gut ausgearbeiteten Leitfäden und der deutlich höheren Kommunikation, durch den regelmäßig angesetzten Austausch, diese erfolgreich anzugehen.”

Abschließend würde Isabell Springmann ihren Eindruck zu dem Projekt als sehr positiv und erfolgreich benennen:

“Wir hätten, insbesondere zu einer Zeit, wie in den letzten zwei Jahren, wohl kaum ein so schnelles, erfolgreiches Zusammenwachsen und professionelles Strukturieren erlebt, wie es dieses Projekt ermöglicht hat. Der regelmäßige Austausch miteinander und mit den anderen Kita-Teams ist etwas, das wir deutlich beibehalten wollen, auch über das Projekt hinaus. Ich habe hier nur Vorteile erkennen können und möchte diese Arbeitsweisen auch weiterhin fortführen und integrieren.”

 

Das Pilotprojekt “Multiprofessionelle Teams” läuft diesen Dezember aus und gilt als “erfolgreich abgeschlossen”. Die wissenschaftliche Ausarbeitung hierzu, mit Einarbeitung der Erlebnisse der teilnehmenden Kitas, findet momentan noch statt und wird Anfang kommenden Jahres auch öffentlich einzusehen sein, bzw. sollen die fünf erarbeiteten Praxishefte mit Empfehlung auch in weiteren Bundesländern vertrieben werden.

Da “Multiprofessionelle Teams” kein Einzelphänomen des Landes Berlin sind, ist es nicht verwunderlich, dass das Projekt für Anklang und Interesse in weiteren Bundesländern gesorgt hat. 

Ob es hier zu einer Erweiterung bzw. Fortführung kommen wird, und wie diese aussehen kann, ist bisher nicht bekannt. Der Aufbau und weitere Details zu dem Konzept und der Ausarbeitung dieses Projektes können der Website des Berliner Kita-Instituts für Qualitätsentwicklung entnommen werden. 


Wir vom VKMK haben die Entwicklung dieses Pilotprojektes mit viel Spannung verfolgt. Wir sehen es als wichtigen Schritt in der Qualitätsentwicklung, insbesondere auch auf bundesweiter Ebene. 

Natürlich ist es sinnvoll und wichtig, dass im Zuge des Fachkräftemangels weitere Kompetenzen ihren Weg in die frühkindliche Pädagogik finden. Wir sind sogar händeringend auf sie angewiesen. Es ist aber eine Hürde, die definitiv zu meistern gilt, insbesondere mit dem Fokus auf der optimalen Förderung in der frühkindlichen Bildung. Hier ist es wichtig, nicht nachlässig zu werden.

Das Pilotprojekt ist eines das erste unserer Zeit, das sich detailliert mit den auftuenden Problematiken, aber auch Chancen und Potenzialen so gezielt auseinandersetzt, die sich in den neuen Strukturen in den frühkindlichen, pädagogischen Instituten wiederfinden und stellt damit auch einen ein Hoffnungsschimmer dar, für die künftige Entwicklung in den Kindertagesstätten. 

 

Wir hoffen, dass es bundesweit weiterhin Anklang und Förderung findet.

damit multiprofessionelle Teams, auch in Zukunft, pädagogisch multiprofessionelle Teams bleiben und werden.